Nichts Neues unter der Sonne – Schubwesen und Flüchtlingsgeschehen (R. Fruhstorfer)

„Nichts Neues unter der Sonne“ (Buch Kohelet 1,9)

Frühneuzeitliches Schubwesen in Oberösterreich – modernes Flüchtlingsgeschehen heute

Rosmarie Fruhstorfer

Wir schreiben das Jahr 1815. In der Chronik der Pfarre Aspach im Innkreis finden wir viele Berichte folgender Art: So heißt es in der Zeit nach dem Wiener Kongress etwa, dass die Armenkassen leer seien. Der Transport von Schüblingen möge zu Fuß erfolgen, im Krankheitsfalle mit Fuhrwerken. Die Begleitung und Verköstigung hätten die Hofmarksherren und die Herrschaften mit niederer Gerichtsbarkeit zu leisten, die Fuhrwerke seien von den Untertanen im Bedarfsfalle bereitzustellen. Die Schüblinge seien von Herrschaft zu Herrschaft zu transportieren und sollten bei Bedarf in den Arresten der passierten Orte übernachten. Auf jeder Schub-Station seien die Begleiter zu wechseln. Die Ankommenden hätten zu ihrer Herrschaft zurückzukehren. Es gäbe keine Garantie für den Erfolg des Unternehmens, denn die Rückkehr einzelner Personen an den Ausgangspunkt des Schubes sei nicht zu verhindern. Die Dominien stöhnten über die finanzielle und administrative Überbürdung durch die Anforderungen der neuen österreichischen Verwaltung.

Da Oberösterreich als reiches Land galt, strömten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Menschen aus allen Teilen der Monarchie hierher, die nicht bleiben durften. Der Landtag klagte über die ständige Zunahme der Schubkkosten. Allein im Jahr 1883 betrugen sie 80.000 Gulden. Am 7. Dezember 1885 erging ein Schreiben an die Gemeindevorstehung Aspach, das zwingend Streifungen durch das Gemeindegebiet vorschrieb, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Die strengste Geheimhaltung wurde zur Pflicht gemacht. Eine Hauptstreifung wurde angeordnet. Dieser hatte fünf Tage später eine Nachstreifung zu folgen. Der ausführliche Bericht war schon drei Tage später der Bezirkshauptmannschaft Braunau vorzulegen.

Sowohl das Innenministerium in Wien als auch die Landtage in den Kronländern haben serienweise Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die allein das Schubwesen betrafen. So machte man sich etwa im Jahr 1861 Sorgen wegen der Benützung der Eisenbahn, man regelte die Kosten für die Hin- und Rückfahrt der Begleitpersonen, des Hauptschubführers und jedes Eskortenmannes, selbst die Tragedauer von sechs Jahren für den Reisemantel und die Benützung des Telegrafen werden in einem Erlass festgehalten.

Noch während des Ersten Weltkrieges gab es Eintragungen in den Kassenbüchern der Gemeinden folgenden Inhalts: Zahlung an die Stadtgemeinde Ried/Verpflegsstation, 238 Kronen 70 Heller; oder: Schubkosten für Elise Wagner, Überstellung 1916, 3 Kronen 50 Heller.

Aktuell schreiben wir das Jahr 2015, und die Medien werden von einem großen Thema dominiert: Menschen sind auf der Flucht, in Europa steigt die Angst vor Überfremdung. Personen, die sich unrechtmäßig in einem Land aufhalten, dessen StaatsbürgerInnen sie nicht sind, sollen in ihre Heimat zurückgebracht werden.

Warum habe ich diese Fallbeispiele ausgewählt? In den Vorlesungen von Herrn Hartinger ging es immer auch um Entwicklungen, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben. Er hat uns die Augen geöffnet für die Weite und die Tiefe des Fachs Volkskunde. Ich musste mich von meiner Vorstellung, dass in dieser Disziplin Objekte im Mittelpunkt stehen, verabschieden. Nachdem ich die Anfangsgründe der Ausbildung in diesem Fach erfolgreich hinter mich gebracht habe, widmete ich mich der Betrachtungsweise der modernen Volkskunde mit ihren historischen und sozialwissenschaftlichen Bezügen.  Jede Vorlesung  unseres Professors war für mich inhaltlich und sprachlich solch ein Meisterwerk, dass ich unzählige Male über den Inn an die Passauer Universität fuhr, bis wir beide in Pension gingen – der Herr Professor und die gleichaltrige Studentin.

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