Nach 17 Jahren Kriegsgefangenschaft aus Rußland heimgekehrt. 1. Mai 1932 (R. Fruhstorfer)

Nach 17 Jahren Kriegsgefangenschaft aus Rußland heimgekehrt. 1. Mai 1932

von Rosemarie Fruhstorfer

Am Sonntag den 1. Mai traf plötzlich das Telegramm aus Wien ein, dass mit dem ½ 4 Uhr Zug Josef Helm, Tischlermeisterssohn von Hirten am Bahnhof in Ried i. Innkreis eintrifft. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Gemeinde. Am Bahnhofe wurde er von einer mehr als 100 köpfigen Menschenmenge, seinen lieben Eltern und von vielen seiner Geschwister empfangen. Nach kurzem Aufenthalt bei seinem Bruder Julius Helm, Pächter des Gasthauses „Zur Lehmgrube“ in Ried i. I. fuhr der Heimkehrer in Begleitung der Eltern und seiner 3 Kinder in das Gasthaus Kohlhof, wo ihm ein schöner Empfang bereitet wurde. Bürgermeister Jakob Knoglinger sowie noch mehrere Gemeinderäte erwarteten den Heimkehrer vor dem Gasthaus. Die hiesige Musikkapelle, bei der mehrere Brüder des Heimkehrers mitwirkten, spielte bei der Ankunft des Autos einen schneidigen Marsch. Von allen alten Freunden und Bekannten, Nachbarn und Jugendgespielen wurde er umringt und ihm die Hand gedrückt. An viele konnte er sich noch erinnern. Der Saal in Murauers Gasthaus war viel zu klein, um die vielen Neugierigen zu fassen, die sich ihm hindrängten und ihn sehen wollten. Im Namen aller Neuhofner, besonders aber der Krieger, begrüßte der Oberlehrer M. Wehinger den Heimkehrer. Kein Auge blieb trocken, als er ihm der Dank der Heimat für die vielen Opfer übermittelte. Möge ihm die lange entbehrte Heimat, nach der er sich so oft gesehnt, in der fernen Zukunft nach den vielen harten Schicksalsschlägen Ruhe, Glück und den wahren Frieden bringen.

Erlebnisse. Am 2. April 1915 wurde der Zugsführer, des II. Kaiser – Schützen Regiments Josef Helm in Galizien gefangen genommen. Rechnet man die Kriegsdienstzeit dazu so war Josef Helm 17 Jahre und 8 Monate von seiner Heimat fern. Josef H. hatte vor 13 Jahren die Witwe eines im Kriege gefallenen Russen geheiratet, mit der er 12 Jahre, in sehr glücklicher Ehe lebte. Sie ist ihm im Jänner 1931 gestorben. Schon zur Zeit, als seine Frau noch lebte, trachtete er samt Frau und Kindern in die Heimat zu kommen. Doch da gab es große Schwierigkeiten zu überwinden. Erst jetzt ist es mit Unterstützung der Österr. Behörden gelungen, die Heimreise zu erlangen. Er musste in Russland alles, Haus, Pferde, Rinder usw. zurück lassen. Er sagte: „Ich habe nichts mehr als meine 3 Kinder.“ Es sind dies die 13 jährige Jezina, der fünfjährige Bub Josef und das 2 ½ jährige Mädchen Katharina. Das Bild nebenstehend zeigt den Heimkehrer Josef Helm mit seinen 3 Kindern.  Er war im Dorfe Hutor – Michalofski bei Uschanicha etwa 170 km weit von der sibirischen Hauptstadt Nowo – Sibirsk entfernt verheiratet und russischer Bauer.

Eine neue Existenz in Hutor – Michalofsky. In dem Dorf befanden sich 23 Häuser. Helm baute sich im Jahre 1919 mit Hilfe eines deutschen Zimmermannes ein kleines Holzhäuschen, denn andere gibt es in den dortigen russischen Bauerndörfern nicht. Nun begann er fleißig in der Landwirtschaft zu arbeiten. Er hatte sich bereits 350 Rubel erspart und kaufte sich damit alles, was er für seine Wirtschaft brauchte. Als das Häuschen fertig war, stellte er sich 1 Pferd, 1 Kuh und 2 Schafe ein und ging mit großem Fleiße an die Erringung eines gewissen Wohlstandes. Im Winter, der in Sibirien sehr lange ist, machte Helm für die Bauern die so genannten Geißerl – Schlitten und verdiente sich dadurch 700 Rubel. Nun konnte er seine Wirtschaft ausbauen. Im Jahre 1920 war große Missernte und so mussten alle Bauern der dortigen Gegend in die benachbarten Landstriche fahren, um im Tauschwege für Kleider, Wäsche und wertvollen Schmuck Getreide zu erhalten. Helm hatte aber solche Dinge nicht und so verfertigte er Schlitten, Kästen, Koffer usw., um im Tausch Getreide zu bekommen. Nur 5 Monate im Jahre sind dort ohne Schnee. Der Boden ist sehr fruchtbar und es werden alle Getreidesorten angebaut. Der Juli und August ist tagsüber oft furchtbar heiß, aber die Nächte kühl. Obst gibt es natürlich keines. Im Jahre 1925 hatten Helm und seine Frau durch ihren unermüdlichen Fleiß die Wirtschaft bereits so weit gebracht, dass sie 7 Pferde, 4 Kühe, 4 Kalbinnen, 30 Schafe, 4 bis 5 Schweine und viel Geflügel ihr Eigen nennen konnten.

Abschied – Heimfahrt. Nachdem Helm sein Haus, den Getreidespeicher und den Stall für ein ganz geringes Geld der russischen bolschewistischen Regierung zurücklassen musste und sein Vieh und alle anderen Habseligkeiten teilweise an seinen Stiefsohn und anderen Bauern verschenkt hatte, rüstete er sich zur Heimfahrt; Alle Leute des Dorfes und der Umgebung hatten sich auf seinem Hof versammelt und weinten bei seinem Abschied. 3 Reichsdeutsche, die mit ihrem Pferdegespann aus den Nachbardörfern gekommen waren, begleiteten Helm und seine Kinder auf die 70 km weit entfernte nächste Bahnstation. Sein eigenes Pferd, das schönste und beste weitum, von Helm selbst gelenkt, brachte ihn und seine Kinder zur Bahn. Nach anstrengender Reise – ungefähr 5000 km, das ist 20 mal so weit wie von Ried nach Wien, ist Helm mit seinen Kindern in der schönen Heimat eingetroffen. Die Fahrt dauerte 12 Tage und 12 Nächte und mit den 3 Kindern hatte er große Sorge und Mühe. Oft musste er auch bei Nacht 2 bis 3 mal umsteigen. An der Grenze wurde er streng kontrolliert und durfte kein Geld mitnehmen, daher kaufte er noch verschiedene Habseligkeiten für sich und die Kinder ein. Alles war sehr teuer.   Helm

In der Heimat. Die allseits hoch geachteten Eltern Josef und Anna Helm, sind nun wieder mit ihren 16 noch lebenden Kindern vereint. Von den 20 Kindern, 14 Söhnen und 6 Töchtern sind 3 von 8 kriegsdienstleistenden Söhnen gefallen und eine Tochter von 8 Jahren gestorben. Von den 16 noch lebenden Kindern sind 8 verheiratet. Vater Helm ist jetzt 73 Jahre alt und die Mutter 64, beide sind noch sehr rüstig. Während des Krieges erhielten die Eheleute vom Kaiser eine Auszeichnung und ein Ehrengeschenk. Vater Helm, dessen Söhne alle das Tischlerhandwerk erlernten, kann heuer sein 60 jähriges Berufsjubiläum als Tischler feiern.

Möge es dem Heimkehrer, der mit seinen 42 Jahren noch im besten Mannesalter steht, gelingen, auch in der Heimat sich bald eine neue Existenz zu schaffen!

Wenn Österreich auch klein und arm geworden ist, dass es der Heimkehrer kaum glauben konnte, als er nach Hause fuhr, so werden die Bewohner der engeren Heimat doch alles tun, dem Heimkehrer zu helfen und zu unterstützen.

Das sei der Dank des Vaterlandes, für das er einstens tapfer gekämpft und später in der Gefangenschaft so viel geopfert hat.